Date: Sat, 11 Feb 95 14:27:09 JST
From: bauer@icluna.kobe-u.ac.jp (Detlef Bauer)
Kennen Sie Kobe?
(in German)
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(in Japanese)
Do you know the City of Kobe?
(in English)
1. Anfahrt
Wir fahren mit dem Zug von Westen in
das Zentrum am Kobe Bahnhof. Die Fahrt
mit dem langsam rollenden Zug durch
die Ruinenreihen des Bezirks Suma und die
Brandflaechen von Nagata ist immer noch
so bedrueckend, wie einige Tage zuvor.
Die Schaeden sind so ueberwaeltigend gross,
dass es viel Zeit brauchen wird bis
die Ruinen alleine beseitigt sein
werden. Obwohl die Stadt an manchen
Stellen vor Geschaeftigkeit zu vibrieren
scheint, und man einen vielfaeltigen
Maschinenpark in diese Stadt geschleust
hat, reicht das alles nicht aus, um
auch nur die gefaehrlichsten Gebaeude
in absehbarer Zeit abzureissen und weg-
zukarren. "Wohin mit dem Schutt?",
heisst eine dringende Frage, die die
Stadt Kobe mit der Aufschuettung ihrer
Port Island Erweiterung, der kuenstlichen
Insel, die durch das Beben in Sumpfgebiet
verwandelt wurde, beantworten wird. Die
benachbarte Stadt Takarazuka verbrennt
Unmengen von Holz und Hausmuell,
darunter auch Plastik und andere gefaehr-
liche Stoffe, unter freiem Himmel und
nahe anwohnede Siedler muessen es
wohl leiden unter einem Ascheregen
zu leben, als seien sie in die suedjapanische
Stadt Kagoshima zwangsumgesiedelt
worden, deren Bewohner es gewohnt sind
von Vulkanasche beschneit zu werden.
2. Transport
Um den Hauptbahnhof von Kobe sind die
Schaeden eher gering. Der Bahnhof ist
vollkommen intakt. Vom suedlichen Bahnhofs-
vorplatz gehen die Busse ab, die die Bahnhoefe
Kobe und Sannomiya verbinden. Die Kun-
den stehen in langen Schlangen, aber der
Transport geht sehr zuegig vo statten.
Die Busse laufen in grosser Zahl ein, und
sobald einer alle seine Sitzplaetze belegt
hat, geht er ab, und der naechste rollt vor.
Vom Bahnhof Sannomiya aus geht die Bahnbus
Verbindung weiter bis zum Bahnhof Sumiyoshi,
von wo aus der Bahnbetrieb wieder weiter
nach Osten laeuft. Man kann aber auch,
wenn man von Kobe aus nach Osaka fahren will
zu einem Restaurantkomplex namens "Mosaik"
laufen und sich dort fuer das Schiff nach
Temposan, einem Pier des Hafens von Osaka,
anstellen. Die Fahrt dorthin dauert nicht
laenger als 40 Minuten. Man kann sie auch
auf einer der in Japan scheinbar zahllosen
Nachbauten des Kolumbus Schiffes "Santa Maria"
machen: zur Arbeit im Disneylandtakt; dieses
Land hat so manche freudige Ueberraschung
zu bieten. Vom Pier aus nimmt man die U-Bahn
und faehrt vom Hauptbahnhof Osaka aus weiter
nach Osten, wohin man will.
3. Gang durch "Harbor Land"
Das Kaufhaus des Wohnens, "HDC" benamst,
sieht unbeschaedigt aus, wie auch der
Kristallturm schraeg gegenueber. Der Gehweg
vor dem "Ogasta Plaza" Kaufhaus ist aufgeworfen,
und man weiss nicht ob das "Ogasta" sich gehoben
hat, oder der Asphalt sich gesetzt - letzteres
will mir allerdings wahrscheinlicher erscheinen.
Das "Ogasta" ist geschlossen, "Seibu" Department
Store ist geschlossen, aber wohl eher weil sich
das Unternehmen in den letzten Jahren nicht
rentiert hat, und auch der ganze Komplex, der
die Kaufhaeuser "Daiei" und "Hankyu" beherbergt.
Die Sphaerenmusik, die hier bis zum 17.01.1995
wallte, schweigt. Die Planken, die den Gehweg
markierten sind gebuckelt. Die Aussenwaende
der "Kaufhalle" zeigen tiefe Risse,
ein kleinerer Vorbau ist eingestuerzt und
bereits abgetragen. Das Mosaik sieht aus der
Entfernung gut aus, aber das aendert sich
sobald man naeher heran kommt. Auch hier hat
sich der Boden abgesenkt, die Piloti ragen
ueber das gewohnte Mass aus dem Boden, und einige
scheinen auch schief zu stehen; Risse auch
hier in den Waenden. Die an Schiffstreppen
gemahnenden Auf- und Abgaenge an der Meerseite
sind in die Hoehe gedrueckt worden, und erinnern
mehr an den schwankenden Grund des Meeres
als dem Architekten lieb sein moechte.
Am Kai stehen lange Reihen von Chemietoiletten
und direkt dahinter lange Schlangen von
geduldig Wartenden, die der Abreise der Schiffes
nach Temposan und zur Insel Awaji harren.
Die Atmosphaere ist gelassen, die Menschen
sind recht lustig, und alle sehr unauffaellig
und praktisch gekleidet. Viel Gepaeck steht
zwischen den Menschen, und darum herum
spielen die Kinder. Der alte Leuchtturm immitiert
die Sehenswuerdigkeit von Pisa, der Kobe "Port Tower"
auf der anderen Seite scheint gerade zu stehen,
aber Fotos aus anderem Blickwinkel belehren eines
besseren. Der "Meriken Park" macht einen
irgendwie unruhigen Eindruck; irgendetwas
ist da durcheinander geraten.
4. Nach Motomachi
Die alte Dampflok der H51 Serie steht
aufrecht und faehrt mit Volldampf gegen Westen,
wie alle Tage. Das Hotel "Sherena" ist zwar
geschlossen, wohl aus Mangel an Energie,
zeigt sich aber vollkommen unbeschaedigt. Es
symbolisiert die kraeftige Gesundheit der
"Centergai", der wichtigsten Einkaufspassage
"Motomachis". Die hat zwar gewackelt, aber
sie faellt nicht. Wunderbarer Weise sind
kaum Spuren des Bebens auszumachen. Vollkommen
veraendert wirkt dieser erste Teil der Centergai
lediglich durch das Getriebe, das hier
ploetzlich herrscht. Manch' einer wird sich
an die alten Zeiten erinnert fuehlen, als
diese Meile zwischen den Bahnhoefen Kobe und
Motomachi das Herz der Stadt war. Vor einem
Schuhgeschaeft tuermen sich rotbraune Schachteln
mit der Aufschrift "Walkers": Wanderschuhe
sind ein begehrter Artikel in zerstoerter
Stadt. Viele Laeden haben geoeffnet und
verkaufen inzwischen Dinge, von denen sie
frueher nicht wussten wie man sie buchstabiert.
Ein Klaviergeschaeft dealt in Hosen.
Eine Musikalienhandlung verkauft Helme.
Die Buchhandlung "Maruzen" bietet preisguenstige
Leibwaesche und im Soderangebot Lederrucksaecke,
das Standardtransportmittel des wandernden
Hamsterers. Mit Plastik oder Papier bespannte
Tische stehen in der Ladenzeile. Darauf Gas-
kartuschenkocher die verbeulte Suppentoepfe heizen
oder die schwarzen Formen fuer die Tintenfisch-
baellchen, einer Spezialitaet des Kansaigebietes;
man kocht und braet und bruzzelt und verkauft
wohlfeil. Das gleiche Bild bietet sich auch
in Cinatown, "Nanking Machi" genannt, wo
Betrieb wie alle Tage herrscht. Lediglich die
Polizisten mit ihren Helmen, in ihren langen
blauen Jacken, ihren Schnuerstiefeln, den
Wanderstab fest in der Faust, fallen ins Auge;
auch die kleinen Gruppen von Bauarbeitern,
die ihre Suppe auf der Strasse schluerfen,
wo sich sonst eher die sight sehenden Maedels
in ihren bunten Maentelchen draengten - aber
auch die gibt es noch, wenn auch sehr selten.
Kobe traegt gedeckte Farben. Was einem wohl
schmerzlich bewusst wird, sobald man sich an
schrillere Plaetze begibt, wie nach "Himeji"
im Westen oder gar nach Osaka, wo man den
Kampfgeist der Stadt Kobe fuer einige Stunden
getrost vergessen kann. Das "Karaoke" Viertel
von "Kobe", noerdlich des Bahnhofs von Sannomiya
steht schief - flaechendeckend. Dieser Geschaefts-
zweig ist besonders hart gestraft. Die Bars
sind nicht mehr zu betreten, und doch meine ich,
wuerde man ein bischen rumhoeren und schauen,
so koennte man auch des nachts noch irgendein
Etablissement im Schuppen ausmachen koennen,
das Ersatzfreuden offerierte, wenn auch etwas
weniger schick als gegen Anfang des Jahres.
5. Zwischen Motomachi und Sannomiya
Die Trennlinie verlaeuft hinter dem Osttor
von Nanking Machi. Von dort faellt der
Blick auf einen Bauzaun, der die Strasse
bereits abschirmt. Dahinter erhebt sich
die Ruine des Kaufhauses von "Daimaru" mit
ihren ruechwaertig angrenzenden Buerogebaeuden,
die den Kopf eingezogen haben, weil ein
Stockwerk weggebrochen ist. Das Kaufhaus
steht noch. Die maechtigen Saeulen, die den
Bau tragen sind geborsten. Jedoch laesst die
Firma Daimaru, Osaka am 10.02.in den Abend-
nachrichten verkuenden, dass der Schaden
halb so wild sei und der Laden bereits Anfang
April wiedereroeffnet werde. Die Konkurrenz
von Hankyu laesst verlauten, dass ihr wesentlich
weniger beschaedigt erscheinen wollender
Harbor Land Palast erst Mitte Mai die
Geschaefte wiederaufnehmen soll. Die Ladenzeile
gegenueber von Daimaru hat einen Schlag
vor die Stirn bekommen, dem die wenigsten Haeuser
schadlos standhalten konnten. Sie stehen,
aber leicht verworfen, auf eine Art nicht
mehr ganz in einer Reihe. Das Pflaster
davor ist zerrissen, zerbroeselt, leicht gewellt.
Fast alle Laeden haben die Metallaeden
heruntergelassen. Ein Kimonogeschaeft aber
laesst seine Modepuppe prachtvoll hochzeiten,
ein Kaffeehaus hat das herabgestuerzte
Lastwagenrad grosse Ladenschild neben den
schmalen Treppenaufgang, der sich zwischen
zwei Rollaeden in den ersten Stock zwaengt,
gestellt, um Betriebsbereitschaft zu signalisieren.
Das neue Multikaufhaus "Bal" taeuscht mich
wie das Mosaik. Aus 30 Metern Entfernung
halte ich es fuer unversehrt. Davorstehend sehen
wir, dass auch hier ein Anbau eingestuerzt ist,
die Waende kleine Risse zeigen. Auf der anderen
Strassenseite verkaufte die Firma "Familia"
Kinderkleidung. Der Laden ist geschlossen.
Schweift der Blick in die Hoehe, bleibt er
im dritten Stock haengen: Die Suedseite
des vierten Stocks ist abgestuerzt,
zur Westwand woelben Mennige rote Eisentraeger
sich auswaerts, wie die Rippen eines
Schwerverwundeten. Die folgenden Stockwerke
sind in paralleler Schieflage verrutscht,
und auf dem Dach lehnt sich ein zweistoeckiger
Wuerfel noch weiter nach Sueden, als wollte
er in die Sannomiya Centergai hineinspaehen.
6. Besuch im Kaffeehaus
Wir besuchen das Kaffehaus "Furtwaengler".
Der gute Wilhelm dirigiert uner schrocken
von seinem Eckplatz uebber dem Eingang aus
die luftigen Berliner Symphoniker. Ein
Pappschild an der Tuer verkuendet Dienst
am Kunden. Die Frage nach dem leiblichen
Wohlergehen allerseits beantworten wir uns
laechelnd sorglos. Ich schaue auf das seltsam
leere Regal hinter dem Kaffeekoch, der
zum erstenmal sein grau gestreiftes Haar
nicht in schwungvoll mit Fett gebaendigter
Manier nach hinten gekaemmt, sondern seitlich
gescheitelt traegt, was ihn juenger ausschauen
laesst; seine Augen lachen wie immer. Das
Porzellan, diese schoene Sammlung unterschied-
lichster Muster fuer jeden Anlass und jedes Getraenk,
ist zerschmettert worden und nur bescheidene,
ja traurige Reste, sind verblieben. Das Bilderbuch
von Tuebingen ist Traubensaft durchtraenkt - "Cambell",
100 Prozent naturrein -, wie mir schmunzelnden
Blicks von der Chefin geklagt wird. Die hat sich
selbst jetzt ihren eigenen Stil bewahrt: Langes
schwarzes Stricktopp, worunter ein blauer Jeanskragen
hervorschaut, ueber ebenfalls schwarz gefaerbten
Leggings, die Haare gerafft, dezentes Make up.
Beethoven droehnt seine musikalischen Hoffnungs-
botschaften in die Ohren der Gaeste. Milchkaffee
gibt es keinen, aber Milchtee oder "Burendo" oder
"American". Das Wasser muss noch im Kanister
herangeschafft werden, aber vielleicht soll
es heute abend mit dem Anschluss klappen. Der
Kessel singt auf dem Kartuschenkocher. Der Chef
giesst den Kaffee im Plastikfilterchen auf, und
die Gaeste, fast alle Stammkundschaft, warten bis
ihre Portion geschlagen hat. Sie waren es, die auf
eine Wiedereroeffnung gedraengt haben, als die
Besitzer noch zoegerten den Betrieb wieder
aufzunehmen. Zwei Risse im Gemaeuer, an Stelle
der Bilder nachgedunkelte Flecke und die
zerschlagenen Tassen sind ein geringer Tribut
an M 7,2 auf der nach oben offenen Richter Skala.
Die Bilder sind in sicherer Verwahrung und sollen
spaeter ihre angestammten Plaetze wieder
einnehmen.
7. Nach hause
Wir laufen durch die Motomachi Centergai
zurueck zum Bahnhof von Kobe und machen
einen Abstecher zum "Butaman", wo die
chinesischen mit Fleisch gefuellten Hefe-
baellchen hergestellt werden. Dort erstehen
wir 20 Baellchen zum Abendessen. Die "Buta"
Frau erkundigt sich nach dem Befinden von
Frau und Kind. Ihr Laden sieht fast aus wie
immer. Nur hinten, wo wir sonst immer sitzen,
sind die Tische zusammengeschoben und allerlei
Kram ist darauf abgelegt. Die Propangas-
flaschen, die noch zum Kochen verwendet werden
muessen, bringen nicht die gewohnte Heizleistung,
und so ist die Schlange, der auf ihr Essen
Wartenden laenger als gewoehnlich. Auf allen
irgendwie Waerme abstrahlenden Flaechen stehen
die Wasserkessel um den Nachschub anzuheizen.
Vom zum Sackbahnhof gewordenen Kobe aus fahren
wir in einem total ueberheizten Schnellzug nach
"Tarumi" zurueck. Die Luft ist klar und kalt,
obwohl die Sonne scheint. Ab und zu fallen
kleine Schneeflocken.
Detlef Bauer
$B#6#5#5?@8M;T?b?e6h?pJfDL$j#2!<#4(B
$B#6#5#5(B Kobe, Tarumi-ku, Mizuhodori 2-4
$B,6!J#0#7#8!K#7#0#7!<#2#1#2#7(B
bauer@icluna.kobe-u.ac.jp (Detlef Bauer$B!K(B